Sieben Wissenschaftler:innen mehrerer Forschungsinstitute haben im Auftrag der Präfektur Bas-Rhin die Erderschütterungen untersucht, die 2019 in der Region Vendenheim begannen und im Dezember 2020 mit einer Magnitude von 3,59 ihren Höhepunkt erreichten. Daraufhin stoppte die Präfektin von Straßburg, Josiane Chevalier, die Arbeiten (wir berichteten).
Das französische Nachrichtenportal Rue89 Strasbourg und die Badische Zeitung informierten nun über die Ergebnisse des Gutachtens. Dieses legt nahe, dass bei den Bohrarbeiten des Unternehmens Fonroche (das jetzt unter dem Namen Géorhin firmiert) Fehler begangen wurden. So sei 5.000 Meter statt maximal 4.800 Meter tief gebohrt worden und der verwendete Injektionsdruck habe 150 bar statt der genehmigten 100 bar erreicht.
Führte der Sidetrack zu den seismischen Ereignissen?
Besonders risikoreich sei eine Erweiterung der Tiefbohrung um einen Seitenarm von einem Kilometer Länge gewesen. Rue89 zitiert Jean Schmittbuhl von der Universität Straßburg folgendermaßen: „Die seismischen Ereignisse Ende 2020 ereigneten sich in einem Gebiet, das dank der Erweiterung der Bohrungen Ende 2019 verbunden war. Wir können sagen, wenn Fonroche diese Bohrungserweiterung Ende 2019 nicht durchgeführt hätte, hätte es im Jahr 2020 wahrscheinlich keine starken seismischen Ereignisse gegeben.“
Zudem seien zu große Mengen Grundwasser in das System geleitet worden – wider besseres Wissen, denn Erfahrungen aus Soultz-sous-Forêts oder Basel hätten bereits das Risiko von Erschütterungen gezeigt. „Das hätte man wissen können und die Wassermengen besser kontrollieren müssen“, zitiert die Badische Zeitung Jean Schmittbuhl.
Der Geschäftsführer von Géorhin, Jean-Philippe Soulé, hält laut Rue89 dagegen an dem „wissenschaftlichen“ Charakter der Bohrungserweiterung fest und verspricht „eine detaillierte Stellungnahme zu den Schlussfolgerungen des Berichts, um unsere Meinungsverschiedenheiten zu klären.“
Wenig Transparenz, große Eile
Der Expert:innenrat beklagt zudem mangelnde Transparenz hinsichtlich der Daten und ein übereiltes Projektmanagement. So sei mit dem Bau des Geothermiekraftwerks schon begonnen worden, bevor das gesamte unterirdische System validiert gewesen sei. „So ein Projekt habe ich noch nie gesehen“, so Jean Schmittbuhl laut Rue89. „Normalerweise teufen wir die erste Bohrung ab, wir prüfen, ob sie funktioniert, dann die zweite Bohrung, wenn sie ausreicht, führen wir im Laufe der Zeit Tests durch ... Und erst wenn das alles ausreicht, beginnen wir mit dem Bau der Anlage.“
Die Statements der Expert:innen zeigen aber auch, dass es eben nicht die Geothermie als Technologie schlechthin ist, welche für die seismischen Ereignisse in der Region verantwortlich ist. Das Problem liegt in der Planung und Ausführung vor Ort. Bedauerlich ist, dass dies in der Öffentlichkeit oft nicht so wahrgenommen wird und daher ein ungünstiges Licht auf die Geothermie insgesamt wirft. Die beiden Berichte von Rue89 Strasbourg und der Badischen Zeitung stellen die Hintergründe jedoch sehr differenziert dar.
Wie es mit dem Geothermieprojekt Vendenheim weitergeht, ist offen. Zwar hat das Straßburger Verwaltungsgericht vor kurzem die Entscheidung der Stadt Straßburg vom Dezember 2020, sämtliche Arbeiten sofort und für immer einzustellen, wieder aufgehoben. Fonroche hatte dagegen geklagt. Nach Angaben der Badischen Zeitung betonte Präfektin Chevalier jedoch, dass die Sicherheit der Bevölkerung stets die oberste Priorität habe.