Grundlage des Projekts ist der fraktionsübergreifende Landtagsbeschluss vom 20.3.2019: „Wärmepotenziale nutzen – Einsatz der Geothermie erleichtern“. Denn um die Klimaschutzziele des Landes Nordrhein-Westfalen zu erreichen, müssen auch im Gebäudesektor die CO2-Emissionen deutlich sinken. Für die dringend notwendige Wärmewende kann die Geothermie einen nicht unerheblichen Beitrag leisten.
Geothermie für eine klimafreundliche Fernwärmeversorgung
Die klimafreundliche, regenerative Energie aus der Tiefe der Erde steht witterungsunabhängig, ganzjährig und zu jeder Tageszeit zur Verfügung. Zudem hat ihre Erschließung und Nutzung einen äußerst geringen Flächenbedarf bei einer hohen produzierten Energiemenge. Für die mehrheitlich immer noch fossil betriebenen Fernwärmenetze in NRW ist die tiefe Geothermie daher eine große Chance. Ersetzen die Städte und Kommunen ihre bisherigen klimaschädlichen Energiequellen durch saubere Wärme, können sie auf einen Schlag die Wärmeversorgung für eine Vielzahl von Menschen dekarbonisieren.
Doch um den Wärmeschatz unter unseren Füßen nutzen zu können, sind geeignete Gesteinsstrukturen notwendig, in denen heißes Tiefenwasser in der erforderlichen Menge vorhanden ist und gefördert werden kann. Noch sind die tieferen geologischen Strukturen in Nordrhein-Westfalen nur unzureichend bekannt. Daher hat das Land den GD NRW beauftragt, eine geothermische Charakterisierung des tiefen und mitteltiefen Untergrundes durchzuführen.
Auf der Suche nach heißem Tiefenwasser
Eine der Kernaufgaben des GD NRW ist die integrierte geologische Landesaufnahme, die für ein besseres Verständnis vom Aufbau des Untergrundes unterschiedliche Geodaten zusammenträgt, aufbereitet und für die Öffentlichkeit zur Nutzung bereitstellt. Darunter fällt auch die sogenannte geothermische Charakterisierung – das ist die Erkundung der geothermischen Potenziale.
Zu den Gesteinen mit der höchsten geothermischen Ergiebigkeit zählen Kalksteine (Karbonate). Denn um das heiße Tiefenwasser als Wärmequelle nutzen zu können, müssen Gesteinsstrukturen vorliegen, die sowohl über viele Hohlräume verfügen, in denen sich das Tiefenwasser sammeln kann, als auch über Verbindungen zwischen den einzelnen Hohlräumen, um eine ergiebige Fließrate zu gewährleisten. Kalkstein ist ein Gestein, das diese Eigenschaften und somit ausreichende natürliche Wasserwegsamkeiten aufweisen kann.
Pilotregion Münsterland
Für die Erkundung der geothermischen Potenziale ist das zentrale Münsterland als Pilotregion ausgewählt worden. Ausschlaggebend dafür sind einerseits frühere geologische Untersuchungen, die darauf hindeuten, dass im Münsterland geeignete Strukturen im Untergrund vorhanden sind. Andererseits steht in der Region dem potenziellen Wärmeangebot auch ein entsprechender Wärmebedarf gegenüber, der bislang hauptsächlich fossil gedeckt ist.
Was den Untergrund im Münsterland so interessant macht, sind die Schichten von Kalkgesteinen, die dort vermutet werden. Durch die Tiefbohrung „Münsterland 1“ in Aulendorf bei Billerbeck mit fast 6.000 Meter Tiefe gewannen Geowissenschaftler:innen schon in den 1960er Jahren Erkenntnisse zur geologischen Schichtung des tiefen Untergrundes. Unter anderem zeigten sich Kalksteinschichten in 5.000 bis 6.000 Meter Tiefe. In solchen Tiefen herrschen Temperaturen von bis zu 180 Grad Celsius, die für eine geothermische Nutzung sehr interessant sind.
Geologische Untersuchungen im Rahmen des DEKORP-Programms (Deutsches Kontinentales Reflexionsseismisches Programm) führten in den 1980er und 1990er Jahren zu weiteren Einblicken in die Gesteinsformationen des Münsterländer Beckens. Modellierungen zeigen gleich drei Kalksteinformationen in unterschiedlichen Tiefenlagen. Nun gilt es, detailliertere Informationen zur Tiefenlage und Mächtigkeit von Schichten zu generieren, um dann gezielt an besonders geeigneten Standorten weitere Untersuchungen anstellen zu können.
Vibrationsseismik – ein minimalinvasives Verfahren
Um den tiefen und mitteltiefen Untergrund zu erkunden, ohne kostenintensive Bohrungen vorzunehmen, wenden Geowissenschaftler:innen schon seit Jahrzehnten die Technik der Vibrations-Seismik (2D- Seismik oder 3D-Seismik) an. Sie basiert auf dem Prinzip der Reflexion von Schallwellen, die an den Schichtgrenzen der verschiedenen Gesteinsarten zurückgeworfen werden – ähnlich einer Ultraschalluntersuchung in der Medizintechnik.
Bei einer seismischen Messkampagne erzeugen spezielle Vibrationsfahrzeuge die Schallwellen. Sie fahren in einem Konvoi von fünf Fahrzeugen entlang vorab festgelegter Messstrecken, halten alle 40 Meter an und schicken dann über eine hydraulisch absenkbare Rüttelplatte am Boden der Fahrzeuge für eine bis drei Minuten Vibrationen in den Untergrund. Diese werden reflektiert und sogenannten Geophonen (ähnlich Mikrophonen) empfangen. Die kabellosen Geophone liegen im Abstand von 20 Metern in einer möglichst geraden Linie und senden ihre Daten wiederum an mobile Messcontainer, wo die Geodaten zunächst gesammelt werden.
Im Anschluss folgt über mehrere Monate die Datenanalyse, bis letztendlich detaillierte Bilder des Untergrundes vorliegen und ein zweidimensionales Modell erstellt werden kann.
Wo und wann wird gemessen?
Geplant sind zwei Messlinien von 25 und 45 Kilometer Länge, die sich in der Stadt Münster kreuzen. An der Strecke liegen die Gemeinden Billerbeck, Dülmen, Havixbeck, Nottuln, Rosendahl, Senden und Sendenhorst. Die Messungen beginnen am 11. November 2021 und sind bis zum 26. November abgeschlossen.
Die Vibrationsfahrzeuge werden ausschließlich auf Straßen und Wegen fahren, die Geophone werden an den Wegrändern, auf Feldern, Wiesen oder auch im Wald verlegt. Insgesamt ist ein Messkorridor von 600 Meter Breite festgelegt, in dem Mitarbeiter:innen der mit den Messungen beauftragten Firma DMT nun die genaue Streckenführung erkunden und alle notwendigen Erlaubnisse (z. B. Wegerechte) einholen.
Die Vibrationsseismik ist auch in Wohngebieten problemlos einsetzbar. Bei der Planung der Messlinien hat die Sicherheit von Gebäuden und Infrastruktur vor Ort oberste Priorität. Dazu zählen beispielsweise unterirdische Leitungen, Brücken, denkmalgeschützte Gebäude oder Wasser- und Naturschutzgebiete. Da die Messungen im November stattfinden, liegen sie in der vegetationsarmen Zeit und auch außerhalb der Brut- und Setzzeit von Vögeln und Wildtieren. Dies schont Flora und Fauna.
Projektwebseite stellt umfangreiche Informationen bereit
Um die Öffentlichkeit umfassend zu informieren, hat der GD NRW von der PR-Agentur Enerchange eine Projektwebseite erstellen lassen. Unter www.seismik-muensterland.nrw finden Interessierte Erklärungen zur Technik, zum genauen Ablauf der Messungen, zur Streckenplanung, zum geowissenschaftlichen Hintergrund und zu den Zielen des Projekts. Während der Messungen wird dort auch tagesaktuell eine Karte mit dem jeweiligen Streckenabschnitt veröffentlicht. Zudem gibt es Informationen zur Geothermie und Beispiele zu den vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten der regenerativen Wärme aus der Tiefe. Eine Kontaktadresse und eine Sammlung häufiger Fragen runden das Angebot ab.
Zum von Enerchange erarbeiteten Informationsangebot gehören zudem eine Social Media-Kampagne und eine Reihe von Webinaren zu unterschiedlichen Aspekten des Projekts. Am Donnerstag, den 26. August wird Ingo Schäfer vom GD NRW das Projekt vorstellen. Am Dienstag, den 31. August wird Olaf Brenner von der Firma DMT die Vibrationsseismik erklären. Beide Webinare beginnen um 17:30 Uhr und lassen nach einem etwa 20minütigen Vortrag viel Raum für Fragen. Die Anmeldung erfolgt über die Webseite.
Weitere Webinare folgen bis zum Beginn der Messungen und werden entsprechend auf der Webseite, in den Sozialen Medien und über die Presse angekündigt. Im Nachgang sind Aufzeichnungen der Webinare auch auf YouTube zu sehen. Neueste Informationen gibt es über die Facebook- und Twitter-Kanäle des Projekts.
Ziele des Projekts
Die Erkundung des tiefen und mitteltiefen Untergrunds ist eine Kernaufgabe des GD NRW und erfolgt im Rahmen der integrierten geologischen Landesaufnahme ohne jegliche wirtschaftlichen Interessen. Das Land NRW finanziert die aufwendige Untersuchung und stellt sie der Öffentlichkeit zur freien Nutzung zur Verfügung.
Falls wasserführende Kalksteinschichten gefunden werden, die für eine Nutzung der tiefen Geothermie geeignet sind, können die Städte und Gemeinden im Untersuchungsgebiet oder auch Energieversorgungsunternehmen auf den Ergebnissen aufbauen. Sie können dann gezielt an besonders geeigneten Standorten weiter erkunden und ersparen sich teure eigene Untersuchungen.
Wenn sie es wünschen, können die Gemeinden im Projektgebiet das geothermische Potenzial unter ihren Füßen erschließen und die Wärmeversorgung ihrer Bürgerinnen und Bürger klimafreundlicher gestalten.