Der Atomausstieg in Deutschland ist gesetzt, auch wenn sich einige europäische Nachbarn noch an ihren Atomplänen berauschen und Nuklearanlagen als „nachhaltige Investments“ deklarieren wollen. Die Endlagerfrage ist nach wie vor ungeklärt, die Gefahr eines verheerenden Unfalls ist zu groß und auch im „Normalbetrieb“ wird eine erhöhte Zahl von Krebserkrankungen im Umfeld von Atomkraftwerken dokumentiert. Die wahren Kosten der Atomkraft werden ausgeblendet und im Falle eines schweren Unfalls auf die Allgemeinheit abgewälzt, weil Kernenergie nicht versicherbar ist. Diese Diskussion ist durch, beendet, finito!
Gleichzeitig muss Deutschland nun den Kohleausstieg gestalten, der bis 2038 vorgesehen ist, aber auf spätestens 2030 vorgezogen werden sollte, wenn Deutschland die Klimaschutzziele erreichen will.
Bis zum 31.12.2022 gehen die letzten drei deutschen Atommeiler vom Netz – Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 mit insgesamt 4.300 Megawatt (MW) Leistung. Gleichzeitig stellen auch elf Kohlekraftwerke ihren Betrieb ein – weitere 2.130 MW, die in der dritten Ausschreibungsrunde zum Kohleausstieg den Zuschlag für die Stilllegung erhalten haben. Das ist gut, erspart es dem Klima doch etliche Tonnen an CO2-Emissionen. Doch woher soll die grundlastfähige Energie jetzt kommen, die diese Anlagen bisher bereitstellten?
Erdgas ist nicht die Lösung
Jetzt auf Gaskraftwerke zu setzen, ist die falsche Strategie. Ja, sie sind flexibel einsetzbar und könnten potenziell dann Strom erzeugen, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. Doch ein Fokus auf Gas bedeutet, weiterhin von Gasimporten abhängig zu sein. Deutschland verspielt mit dem Bekenntnis zu Gas seine staatliche Souveränität, wie die aktuellen politischen Entwicklungen zeigen.
Eine echte Unabhängigkeit in der Energieversorgung kann nur von den erneuerbaren Energien ausgehen. Sie sind dezentral verfügbar und generieren eine Wertschöpfung vor Ort. Da regenerative Energien nach der Anfangsinvestition in den Anlagenbau kaum noch Brennstoffkosten verursachen, sind sie ein Garant für stabile Energiepreise.
Klar ist: Der Ausbau muss schnell gehen. In seiner Eröffnungsbilanz Klimaschutz stellte Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck seine Pläne vor. Bis 2030 sollen 80 Prozent des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien stammen. Auf 544 bis 600 Terawattstunden beziffert er den Bedarf. Dafür sorgen sollen dann 100 Gigawatt Erzeugungskapazität aus Windkraft an Land, 30 Gigawatt Offshore-Windkraft und 200 Gigawatt Fotovoltaik (Eröffnungsbilanz Klimaschutz, Seite 13).
Und was ist mit Geothermie?
Doch wenn man den Strombedarf mit den Wind- und Sonnenstunden vergleicht, ergibt sich eine Diskrepanz: Wind und Sonne allein werden nicht reichen – wir brauchen alle erneuerbaren Energien. Die Geothermie als Stromquelle kommt in Habecks Rechnung bisher nicht vor. Dabei ist sie die einzige regenerative Technologie, die grundlastfähigen Strom und Wärme zugleich bereitstellen kann. Immerhin: Im Kapitel zur Wärmeplanung (Seite 30 ff.) erhält die Geothermie jetzt einen höheren Stellenwert:
„Tiefe Geothermie kann ganzjährig hohe Temperaturen zur Gebäudeversorgung liefern und wird überhaupt erst durch Wärmenetze nutzbar. Die Förderung durch die BEW soll die mit hohen investiven Kosten und Risiken verbundene Technologie wirtschaftlich machen. Für eine klimaneutrale Wärmeversorgung bis 2045 muss das vorhandene Potenzial für Geothermie erheblich stärker genutzt werden. Es beträgt 10 TWh pro Jahr bis 2030, und wir wollen es so weit wie möglich nutzen. Dies bedeutet eine Verzehnfachung der derzeitigen Wärmeeinspeisung aus dieser Quelle.“
Doch gerade in der Kombination von Strom- und Wärmeerzeugung spielt bei der Geothermie die Musik. Die garantierten Einnahmen aus der Stromvergütung nach dem EEG sichern die Investitionen ab und machen Geothermiekraftwerke wirtschaftlich. Parallel kann der Aufbau der Wärmenetze vonstattengehen. Ein weiteres Schmankerl: Überschüssige Wärme in Kälte verwandeln und damit zusätzlich das Klima und den Strommarkt entlasten.
Beispiel München: Geothermie als selbstverständlicher Bestandteil im Portfolio
Am 20. Januar besuchte Habeck Bayerns Ministerpräsidenten Söder, um seine Pläne für die Energiewende zu präsentieren und Druck für den Windkraftausbau zu machen. Mit der 10-H-Regel von Söders Vorgänger Seehofer ist der Ausbau der Windkraft fast vollständig zum Erliegen gekommen. Rund um ein Windrad darf in einem Umkreis von zehn Mal der eigenen Höhe keine Wohnbebauung liegen. Damit sind in einem dichtbesiedelten Land eigentlich keine neuen Standorte mehr genehmigungsfähig.
Dafür punktet Bayern mit der Geothermie, wie Söder dem Wirtschaftsminister laut dem Merkur auch gleich aufs Brot schmierte: Man müsse eben die regionalen Naturgegebenheiten respektieren. Wasser, Sonne, Geothermie – in Bayern sei man, was klimafreundliche Energiegewinnung angeht, „überall vorne dran, nur nicht beim Wind“. Die Süddeutsche Zeitung zitiert den Ministerpräsidenten dann etwas versöhnlicher: „Wir sind bereit, über Ausnahmen zu reden“ Grundsätzlich könne die 10-H-Regelung etwa im Staatswald oder beim Repowering auch aufgeweicht werden.
Eigentlich hätte Söder nur auf das Beispiel München verweisen müssen: Die dortigen Stadtwerke (SWM) verkündeten Anfang dieser Woche in einer Pressemitteilung, dass sie nun 90 Prozent des Stromverbrauchs aus eigenen regenerativen Anlagen erzeugen. Innerhalb von nur zwölf Jahren hätten sie es geschafft, den Ökostrom-Anteil für München von fünf Prozent auf 90 Prozent zu steigern.
Das Portfolio der SWM ist diversifiziert in Technologien und Standorten. In München und der Region erzeugen etliche Solaranlagen und Wasserkraftwerke, zwei Windräder, je eine Biogas- und Biomasseanlage und eben auch sechs Geothermieanlagen Strom und Wärme. Darüber hinaus betreiben die SWM aber auch Offshore- und Onshore-Windparks in ganz Europa, zwei große Solarparks in Bayern und Sachsen und ein Parabolrinnen-Kraftwerk in Spanien.
Auch unkonventionelle Ansätze einbeziehen
Es gilt, die verschiedenen regenerativen Energiequellen nicht gegeneinander auszuspielen, sondern ihre Vorzüge klug zu kombinieren. Und in Anbetracht der Dringlichkeit einer zügigen Energiewende sollten auch unkonventionelle Ansätze, wie EGS (Enhanced Geothermal Systems) neu betrachtet werden.
Mittels einer Erhöhung der natürlichen Permeabilität des Gesteins in der Tiefe (enhance = erhöhen) können auch Horizonte erschlossen werden, die über nicht ausreichende oder gar keine natürlichen Wasserwegsamkeiten verfügen. In einem künstlich geschaffenen Risssystem kann das in den tiefen Untergrund verpresste Wasser erwärmt werden und so zur Strom- und Wärmegewinnung dienen.
Es gibt etliche Anlagen mit dieser Technologie, die seit Jahren erfolgreich laufen, unter anderem Soultz-sous-Forêts im Elsass. Auch in Cornwall und in Helsinki wurden in den letzten Jahren erfolgreich EGS-Anlagen gebaut. Die Nutzung dieser Technologie oder auch von Systemen mit geschlossenen Kreisläufen erweitert das geothermische Potenzial deutlich und bietet die Möglichkeit, einen signifikanten Beitrag zur Grundlastversorgung beizutragen. Dies steigert die Energiesouveränität Deutschlands – ohne Kohle, Atom und auch ohne Gas. Denn fossile Energieträger müssen zum allergrößten Teil importiert werden und damit fließen Gelder in politisch unsichere Erzeugungsländer.
Schnellere Genehmigung – höhere Förderung
Um die Nutzung der tiefen Geothermie jetzt mit dem erforderlichen Tempo auszubauen, sind unter anderem schnellere Genehmigungsverfahren notwendig. Das braucht vor allem eine personelle Aufstockung in den Genehmigungsbehörden und eine Straffung der Genehmigungsverfahren.
Des Weiteren wartet die Branche immer noch auf das Inkrafttreten der Bundesförderung effiziente Wärmenetze (BEW). Diese muss mit einem signifikant vervielfachten Fördervolumen ausgestattet sein. Dazu gehört auch eine Risikoabsicherung für Geothermieprojekte, so dass die Hemmschwelle insbesondere für Stadtwerke und Kommunen als die wichtigsten Treiber der Energiewende sinkt.
Wichtig wäre auch eine ernsthafte Diskussion über eine Nutzbarmachung der EGS-Potenziale mit mehreren Demonstrationsanlagen in Deutschland. All dies sind wichtige Schritte, um der tiefen Geothermie im Energiemix der Zukunft die angemessene Bedeutung zukommen zu lassen. Denn mit Strom und Wärme liefert sie vor allem kontinuierlich Energie und ergänzt damit Wind und Sonne optimal.