Praxisforum Geothermie.Bayern startet mit spannenden Workshops

16.10.2024 | Veranstaltungen | Karin Jehle
Diskussionsrunde Akzeptanz

Seismizität und Akzeptanz waren die Themen für die Workshops am 16. Oktober 2024 beim Praxisforum Geothermie.Bayern in Pullach. Zudem bot das parallel stattfindende Berufsforum Studierenden Einblicke in mögliche Berufsfelder und Kontakte zu Unternehmen.

Induzierte Seismizität – und wie man sie verhindern kann – ist ein existenzielles Thema für die Betreiber:innen von Geothermieanlagen. Schließlich sind spürbare Bodenschwingungen oder gar Gebäudeschäden ein echter Killer für die Akzeptanz bei Anlieger:innen und der Bevölkerung.

Fachleute aus Wissenschaft und Praxis

Im ersten Workshop zum Auftakt des zwölften Praxisforums Geothermie.Bayern diskutierten Fachleute aus Wissenschaft und Praxis daher mit dem interessierten Publikum verschiedene Ansätze, um induzierte Seismizität gar nicht erst aufkommen zu lassen. Tobias Megies von der Ludwig-Maximilians-Universität München forscht seit 15 Jahren zu seismischem Monitoring im Umfeld von Tiefengeothermieanlagen und stellte seine Erkenntnisse als erster Referent vor. Mit den Betreibern im Großraum München hat er ein umfangreiches Messstellennetz mit einer gemeinsamen, zentralisierten Datenhaltung aufgesetzt. Dabei werden die Daten in Echtzeit erhoben, was gegebenenfalls eine schnelle Reaktion ermöglicht. Eine wichtige Erkenntnis für neue Projekte ist, dass Störungszonen für die Injektion vermieden werden sollten.

Anschließend präsentierte Emmanuel Gaucher vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) das Projekt INSIDE. Dieses untersucht induzierte Seismizität und Bodendeformation als Interferenzaspekte beim Betrieb von Geothermieanlagen in der süddeutschen Molasse, um ein verbessertes Prozessverständnis im tiefen Untergrund zu erlangen, und erarbeitet Maßnahmen zur Risikominimierung. Auch er ging auf die Bedeutung von Störungszonen ein. Gerade dort sind jedoch auch erhöhte Fließraten und damit ergiebige Bohrungen zu erwarten. Daher wurden beim Projekt Schäftlarnstraße der Stadtwerke München die Förderbohrungen eher in die Störungsbereiche niedergebracht, während die Injektionsbohrungen in die weniger sensiblen Bereiche führen. Mit dem umfangreichen Messstellennetz ist darüber hinaus ein Reservoir-Management möglich. Gaucher betonte mehrfach die hohe Bedeutung seismischen Monitorings.

Aus der Praxis kommt Dr. Simon Kremers von der Firma DMT GmbH & Co. KG. Er stellte in seinem Vortrag vor, wie eine Risiko-Analyse für Geothermieprojekte erstellt werden kann. Das seismische Risiko setzt sich dabei aus einer Kombination von Faktoren zusammen: seismische Gefährdung, exponierte Bevölkerung und Zustand der Infrastruktur. Aber auch soziale Belange, wie z. B. mangelndes Vertrauen, sind einzubeziehen. Diese gilt es durch frühzeitige und transparente Kommunikation bedienen – schon hier ein Brückenschlag zum zweiten Workshop des Nachmittags.

Prof. Dr. Roberto Cudmani von der Technischen Universität München ging als dritter Redner des Tages auf die möglichen Auswirkungen von induzierter Seismizität auf Gebäude ein. Als Bauingenieur erweiterte er den Blick auf die gebäudeseitige Perspektive. Welche Auswirkungen ein seismisches Ereignis haben kann, liegt nicht nur im Gebäude allein begründet, sondern auch in der Beschaffenheit des Baugrunds. Ferner spielen die verwendeten Baumaterialien und die Konstruktion eine Rolle bei der Vulnerabilität des Gebäudes gegenüber Erdbeben. Daraus lässt sich berechnen, ob es ein Risiko von Gebäudeschäden gibt. Die Methode stellt auch eine Möglichkeit dar, bei behaupteten Schäden zu bestimmen, ob sie überhaupt von induzierter Seismizität verursacht sein können.

Norbert Seidl, Erster Bürgermeister der Stadt Puchheim, schlug mit seinem Vortrag „Eigentlich finden wir Geothermie richtig gut, aber...“ den Bogen zum zweiten Thema des Workshop-Tags: Akzeptanz. Aus Termingründen sprach er noch vor der Pause. In Puchheim scheiterte ein Geothermieprojekt wegen seismischen Ereignissen in der benachbarten Gemeinde Poing. Die zuvor höchst positive Stimmung gegenüber der Geothermie drehte sich komplett, die Stadt versuchte kommunikativ zur reagieren, aber die Deutungshoheit lag schon bei den Kritiker:innen. Eine Bürgerinitiative wurde gegründet, schließlich wurde mit einem Bürgerentscheid das Projekt beerdigt. Als wichtigen Faktor nannte Seidl den persönlichen Nutzen, der für die Bürger:innen ganz klar herausgestellt werden muss, damit sie ein – wenn auch noch so kleines – Risiko akzeptieren. Als hoffnungsvollen Ausblick stellte er die Möglichkeit einer zweiten Chance dar: Viele Bürger:innen kämen seit dem Energiepreisschock nach Russlands Überfall auf die Ukraine auf die Gemeinde zu und fragten nach, ob man nicht doch Geothermie in Puchheim realisieren könne.

Moderiert wurde der Workshop von Dr. Jochen Schneider, Geschäftsführer der Firma Enerchange GmbH & Co. KG und Veranstalter des Praxisforums.

Akzeptanz durch Kommunikation und Beteiligung

Für Akzeptanz ist eine transparente und überzeugende Kommunikation von Geothermieprojekten unabdingbar, allerdings nicht einzig entscheidend. Wichtig sind auch erfolgreich realisierte Projekte in der Region: „Jedes erfolgreiche Projekt zahlt sich für zukünftige Projekte in der Akzeptanz aus“, sagte Gudrun Bergdolt, Leiterin Kommunikation bei der IEP-Innovative Energie für Pullach GmbH, die den Workshop moderierte zur Einstimmung.

Annette Schubert von der BadenovaWÄRMEPLUS GmbH & Co. KG aus Freiburg stellte als erste Referentin das Projekt „Erdwärme Breisgau“ vor, das im von geothermiekritischen Bürgerinitiativen geprägten Oberrheingraben bislang weitgehend auf sehr positive Resonanz trifft. Noch ist es nicht in Betrieb, der Standort wird gerade ausgewählt. Parallel projektiert die Badenova auch südlich und nördlich von Freiburg im Dreiländereck und in der Ortenau. Die Kommunikation war von Anfang an stark mit der technischen Entwicklung verzahnt, von ursprünglich 19 Kommunen im Aufsuchungsgebiet, die kommunikativ bedient wurden, blieben sieben in den Potenzialgebieten, dann noch drei Kommunen im Zielgebiet. Schließlich läuft es auf eine Standortkommune hinaus. Relevante Themenfelder und Akteure wurden intensiv analysiert, die Öffentlichkeit wurde aktiv eingebunden. Der Prozess war intensiv und zeitaufwendig – aber bislang hat es sich definitiv gelohnt.

Welche Faktoren besonders relevant für die Planung gesellschaftlich akzeptabler Geothermieprojekte sind, stellte anschließend Jan Hildebrand von der IZES gGmbH vor. Er forscht zum Thema Akzeptanz bei Energiethemen und insbesondere zur psychologischen Dimension. Akzeptanz ist dabei mehr als passive Zustimmung oder Duldung, sondern vielmehr aktive Unterstützung. Dabei kann jedes Infrastrukturprojekt als Veränderung der gewohnten Umgebung wahrgenommen werden und daher Ängste, Kritik oder Widerstände in der Bevölkerung auslösen. Häufig sind die Diskussionen emotional aufgeheizt, so dass eine faktenbasierte Argumentation nicht immer hilfreich ist. Wenn es jedoch bereits Anlagen in der Umgebung gibt, ist die Zustimmung zu Anlagen bei allen Energieformen deutlich höher. Also auch hier: Jedes erfolgreiche Projekt unterstützt weitere Projekte. Wichtige Akzeptanzfaktoren sind die Selbstwirksamkeit – man kann sich auf die eine oder andere Art beteiligen – und die Identifikation mit dem Projekt. Als signifikanteste Faktoren nannte Hildebrand den wahrgenommene Nutzen für die eigene Kommune oder das eigene Leben sowie die Fairness des Verfahrens. Dafür ist es wichtig, vor Ort Vertrauen aufzubauen und Beziehungen herzustellen.

Zum Abschluss des Workshop-Tages diskutierten Marlene Käppler von Enerchange und Robin Renoth von der TU München, ob es lohnenswert ist, im Zusammenhang mit Geothermie über Akzeptanz zu sprechen – und wenn ja warum. Robin Renoth stellte zunächst seine Metastudie von 50 Veröffentlichungen zum Thema Akzeptanz in verschiedenen Ländern vor. Marlene Käppler präsentierte ihre Erfahrungswerte aus der Praxis als PR-Beraterin für Geothermieprojekte. Überzeugende Argumente sind immer der persönliche Nutzen, sei es mehr Platz im Keller oder günstige, stabile und wettbewerbsfähige Preise. Frühe und fundierte Informationsarbeit, optimalerweise von einer vertrauenswürdigen Person vor Ort vorgetragen, helfen ungemein, die Informationshoheit zu sichern. Vertrauen entsteht auch durch eine lokale Verwurzelung, beispielsweise durch das Stadtwerk vor Ort, mit einer etablierten Ansprechperson.

In der abschließenden Diskussionsrunde konnte das Publikum sich beteiligen. Viele brachten ihre Erfahrungen ein – nicht nur mit der Akzeptanz von Geothermieprojekten, sondern auch mit Windparks und Flüchtlingsunterkünften. 

Zum gemütlichen Ausklang des Workshop-Tages waren Teilnehmer:innen und Referent:innen noch zum Icebreaker-Event im Palmengarten des Bürgerhauses Pullach eingeladen.

Berufsforum: Nachwuchsfachkräfte und Unternehmen zusammenbringen

Parallel zu den Workshops fand in diesem Jahr zum dritten Mal das Berufsforum Geothermie statt. Studierende aus Geowissenschaften, Maschinenbau, Geothermie und Geoingenieurwesen konnten die attraktiven Möglichkeiten kennenlernen, die die Geothermie bereithält. Zahlreiche Unternehmen aus der Geothermiebranche stellten sich auf dem Forum vor und gaben spannende Einblicke in ihre Tätigkeitsbereiche. Wie schon in den vergangenen Jahren trug das Berufsforum auch wieder zur Vernetzung bei – von Praktika über Werkstudentenstellen bis zu einem Direkteinstieg in die Branche.

Ermöglicht wurde das Praxisforum auch durch unsere Sponsoren: Stadtwerke München, Herrenknecht Vertical, Kemco, NW Assekuranz, OMV und Turboden S.p.A. Darüber hinaus sind weitere namhafte Unternehmen wie BUCHEN UmweltService, Daldrup & Söhne, Hartmann Valves und IngKess beim Praxisforum als Aussteller vertreten.

Quelle:

Enerchange