Herr Wassermann, seit kurzem ist in der Presse über seismische Ereignisse in Poing zu lesen. Die Süddeutsche Zeitung spricht in ihrer gestrigen Ausgabe von vier Ereignissen, auf der Webseite des Erdbebendienstes Bayern sind nur zwei Ereignisse angegeben, was hat sich tatsächlich ereignet?
Es haben sich im Zeitraum Ende November bis Mitte-Ende Dezember insgesamt sechs Erdbeben im Umfeld der Geothermieanlage Poing TH1 ereignet. Laut unseren mündlichen Vereinbarungen mit dem Bergamt Süd, melden wir dem Bergamt alle Ereignisse, die über einer Lokalmagnitude von 1.5 liegen. Das waren im entsprechenden Zeitraum vier Ereignisse. Unabhängig davon werden alle induzierten Erdbeben, die eine Lokalmagnitude größer als 2 aufweisen oder verspürt wurden, auf der Webseite des Erdbebendienst Bayern publiziert. Damit erklären sich die zwei publizierten Ereignisse, die von sehr vielen Anwohnern aus den Gemeinden Pliening und Poing verspürt und uns gemeldet wurden.
Wie auffällig ist die Beobachtung, das heißt sind Beben in Poing schon früher aufgetreten?
Seit dem Bestehen des Gräfenbergarrays in Franken Mitte der 1980er und dann ab Anfang der 1990ern mit dem Aufbau des Deutschen Seismologischen Regionalnetzes können alle Beben mit einer Magnitude größer 2 eindeutig identifiziert und räumlich grob zugeordnet werden. In diesem gesamten Beobachtungszeitraum ist uns kein einziges Beben im Großraum München bekannt. Seit 1905 existieren nahezu lückenlose Registrierungen der Station München und später Fürstenfeldbruck, die keine Rückschlüsse auf gefühlte Erdbeben zulassen. Historische Berichte, wenn auch lückenhaft, liegen uns seit dem Jahr 1390 vor und auch aus dieser Quelle sind uns keine Erdbeben in der näheren Umgebung Münchens bekannt.
Bis zu welcher Magnitude können sie im Raum Poing bzw. im Osten von München messen?
Die Frage ist nicht vollständig. Wir können mit den Stationen des Erdbebendienst Bayern und des Geophysikalischen Observatorium der LMU derzeit alle Erdbeben bei Poing ab einer Magnitude von 1.0 (tageszeitunabhängig) erfassen. Für eine exakte räumliche Zuordnung sind wir aber auf Stationen nahe des Epizentrums angewiesen. Nach den neu formulierten Bewilligungsbeschreiben muss jeder Betreiber mindestens eine seismologische Station im Umfeld einer Geothermieanlage betreiben. Dies ist im Falle Poing seit dem 14.12.2016 der Fall. Glücklicherweise konnten wir auf die seismischen Daten anderer Betreiber zurückgreifen, um die Erdbeben bei Poing besser eingrenzen zu können. Das bislang letzte Erdbeben am 20.12.2016 haben wir zudem mit drei Stationen der LMU München mitregistrieren können. Bei dieser Auswertung zeigt sich, dass der Herd sehr nahe an die Bohrung heranrückt und auch die Tiefenlage mit circa 3000 Meter nun deutlich besser ins Bild passt.
Hat sich die Aufzeichungsgenauigkeit in den letzten Jahren im Raum Poing verändert?
Nein. Deshalb haben wir schnell reagiert und eigene Instrumente installiert.
Wie viele Messstationen betreiben Sie im Umfeld der Beben und wo befinden sie sich? Sind in ihr Messnetz auch die Stationen des Forschungsprojektes MAGS integriert?
10 Stationen inklusive der Stationen des MAGS2 Projekts
Ist mit diesem Messnetz auch eine Lokalisierung des Epizentrums gut möglich, das heißt wie hoch ist der Fehler in der Lokalisierung, sowohl lateral wie auch vertikal und welche Faktoren können die Ortung beeinflussen?
Mit den Stationen des MAGS2, des Erdbebendienst Bayern und der umliegenden Betreibern bekommen wir eine Ortungsgenauigkeit von wenigen hundert Metern in der horizontalen Richtung und mehreren Kilometern in der Vertikalen. Die erste von uns publizierte Herdtiefe mit 6 km ist sicher einige Kilometer zu tief. Dafür spricht neben dem eng begrenzten Schütterradius (und der Tatsache der Fühlbarkeit des Bebens) auch die verbesserte Ortung des Erdbebens vom 20.12.2016 mit den Nahstationen der LMU. Auch die Geschwindigkeitsmodelle und dabei vor allem die S-Wellen beeinflussen vor allem die Genauigkeit der Tiefenortung.
Wie ist der Zusammenhang zwischen der Bodenschwinggeschwindigkeit und der Magnitude? Bei welchem Parameter kann man auf obertägige Schäden schließen, und was ist die kritische Schwelle?
Die Magnitude beschreibt die Energiefreisetzung im Erdbebenherd selbst, die Bodenschwinggeschwindigkeit bzw. die PGV (peak ground velocity) ist der gemessene Spitzenwert am Ort des Seismometers - des Beobachters und wird damit für eine Schadensbeurteilung relevant. Die oft benutze (alte) Regel, dass Schäden erst ab einer Magnitude 4 auftreten, kann so heute nicht mehr gehalten werden. Es kommt dabei schlicht auf die Nähe, den lokalen Untergrund und die Empfindlichkeit eines Objekts zu einem Erdbeben an. Glücklicherweise ist der Untergrund unter München im für die Erdbeben wichtigen Wellenlängenbereich relativ homogen, so dass sehr lokale Verstärkungseffekte nicht zu erwarten sind. Damit lassen sich dann die PGV Analysen an den seismischen Station i. A. recht gut auf größere Bereiche extrapolieren.
Die Geothermieanlage in Poing wird im Zusammenhang mit diesen Ereignissen als Ursache genannt. Wie sehen Sie selbst die Nutzung der tiefen Geothermie?
Ich persönlich halte die tiefe Geothermie für einen durchaus guten und innovativen Energieträger, gerade in der bayerischen Molasse. Wichtig ist für mich dabei die Einschätzung, dass jede Art von "Energieernte" die Umwelt beeinflusst, egal ob tiefe Geothermie, Windkraft, Solar oder Wasserkraft. Um diese Beeinflussung gut zu steuern bzw. zu beurteilen, muss meines Erachtens eine gute Überwachung und damit verbunden eine offene Informationspolitik ob der möglichen Folgen betrieben werden.
Herr Wassermann, wir danken Ihnen für Ihre ausführliche Stellungnahme.